Hallo liebe Leute,

wie schön, dass wieder so viele zur behindert und verrückt feiern Pride Parade gekommen sind! Wir würden gern erzählen, dass in diesem Jahr alles besser ist und uns einfach nur selbst feiern. Das lassen die Umstände jedoch leider nicht zu. Auch seit der letzten Parade vor einem Jahr ist wieder viel Unrecht geschehen und viel Scheiße passiert. Und jetzt folgen einige Schlagzeilen, die uns wütend, ratlos, traurig, aber auch kämpferisch und rebellisch machen.

Bremen. Für Schulleiterin Christel K. muss es eine Schock-Nachricht gewesen sein: Ausgerechnet an ihrem „erfolgsorientierten“ Gymnasium Horn soll im kommenden Schuljahr eine Inklusionsklasse eingerichtet werden, in der auch Schüler*innen mit dem Förderschwerpunkt Wahrnehmung und Entwicklung unterrichtet werden. Aber Christel K. weiß sich zu helfen: Frei nach dem Motto „Ich habe ja nichts gegen Inklusion, aber doch nicht bei uns!“ verklagt sie kurzerhand die Stadt Bremen. Ihre Begründung: Schüler*innen mit schweren Beeinträchtigungen seien nicht mit dem Ziel Abitur vereinbar.
Für die Schulleiterin des Gymnasiums Horn und andere besorgte Bildungsbürger*innen verläuft die Grenze der Inklusion anscheinend dort, wo die Leistungsnormen der sogenannten Bildungselite hinterfragt werden könnten. Dass das Recht auf inklusive Bildung in allen Schulformen in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben ist, ist für sie wohl Nebensache.
Der Prozess findet am 27. Juni vor dem Verwaltungsgericht Bremen statt.

Ingolstadt: Das Sozialamt der Stadt Ingolstadt zwingt laut „Donau-Kurier“ den 50-jährigen Winfried G., in einem Altenheim zu leben. Auch Bernhard K. droht dasselbe Schicksal. Grund ist der hohe Bedarf an Pflege und Assistenz, den die Stadt nicht zahlen will. Das Altenheim sei billiger. Der Vorsitzende des Sächsischen Kommunalverbands für Soziales Andreas Werner rechtfertigt vergleichbare Fälle damit, dass man Fälle genau prüfen müsse, in denen die Assistenz in drei Monaten mehr koste, als er im Jahr Lohnsteuer zahle. Der Pflege-Experte Claus Fussek spricht von „Endlagerung“.

Baunatal: Das Gertrudenstift Baunatal-Großenritte hat nach einem Bericht des Portals „nh24.de“ kürzlich ein Pflegeheim eröffnet. Dieses Pflegeheim ist das erste, das auf Menschen spezialisiert ist, die jünger als 65 Jahre sind. Der Heimträger will damit besser auf die besonderen Bedürfnisse dieser Gruppe eingehen. Freuen dürfte das vor allem Sozialämter wie das in Ingolstadt. Schließlich macht das neue Heim es einfacher, Menschen in Pflegeheime abzuschieben, die eigentlich persönliche Assistenz brauchen.

Deutschland: Unter dem Motto „Verrückt wäre nur, wenn man nicht mit PayPal bezahlt“ wirbt der börsenorientierte Online Bezahldienst für mehr Mut im digital-verrückten Kaufrausch. So ist die mit Freunden geteilte Pizza, das blaue Kuscheltier oder die neuen Autofelgen (und deren kostenlose Retoure) nur noch einen verrückten Klick entfernt. Verrückt kriegt somit einen neuen hippen Anstrich und negiert die Konnotierung mit Pathologisierung, Zwangseinweisung und Ausgrenzung.

München: Das noch unter Horst Seehofer geplante bayrische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) ist nach heftigen Protesten in den letzten Wochen umgeschrieben worden. Die CSU-Landesregierung hatte Mitte April ein Gesetz in den Landtag eingebracht, das die Möglichkeiten für eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie ausweitet. Denn künftig sollte gegen ihren*seinen Willen in eine psychiatrische Einrichtung gesteckt werden können, wer „Rechtsgüter anderer, das Allgemeinwohl oder sich selbst“ gefährdet. Eine sehr schwammige Formulierung. Kritiker hatten moniert, der Entwurf enthalte nur vier Paragraphen zu Hilfemaßnahmen, aber 35, in denen es um die Abwehr von Gefahren mittels zwangsweiser „Unterbringung“ sogenannter „Kranker“ gehe.
Von der geplanten Unterbringungsdatei, in der die persönlichen Daten der Patienten für fünf Jahre gespeichert werden sollten und die auch der Polizei zugänglich sein sollte, ist nun nicht mehr die Rede. Auch ein weiterer Punkt aus dem ursprünglichen Entwurf von Sozialministerin Emilia Müller verschwindet: der Maßregelvollzug für sogenannte psychisch kranke Straftäter. Dann wären beispielsweise Krankenbesuche per Video überwacht worden. Auch wäre es sogenannt psychisch-kranken Patient*innen nicht mehr gestattet gewesen, Mobiltelefone zu nutzen.
Obwohl Teile der Opposition gefordert haben, den Gesetzentwurf zurückzuziehen und komplett zu überarbeiten, will die CSU das Gesetz noch vor der Landtagswahl verabschieden.

Berlin: Der rbb schreibt „Durch den Regen gegen Homo- und Trans*feindlichkeit“. Mehr als 1.000 Menschen nahmen am 10. Mai an einer Demo gegen Trans*- und Homofeindlichkeit in Neukölln teil. In Berlin kam es in den letzten Wochen mehrfach zu gewalttätigen Übergriffen auf offener Straße. Laut Polizei gab es im Jahr 2017 161 gemeldete Vorfälle – queere Gruppen sprechen von weit höheren Zahlen: Das Anti-Gewalt-Projekt Maneo meldete zum Beispiel 324 Fälle für 2017.

Frankreich: Die Regierung schränkt mit neuen Gesetzen die Grundrechte von behinderten und sogenannten psyschisch kranken Menschen ein! Mit dem neuen Gesetz HOSPIWEB wird das ärztliche Geheimnis missbraucht: Medizinische Unterlagen von Menschen, die psychiatrische Zwangseinweisungen durchgemacht haben, dürfen an die französische Justiz und Polizei weitergeleitet werden. Bisher mussten alle neu gebauten Wohnungen barrierefrei sein. Ein neues Gesetz mit dem schönen Namen ELAN verschlechtert das. Jetzt müssen nur noch 10% der neu gebauten Wohnungen barrierefrei sein! Es zeigt uns wie Sparpolitik und Bevormundung uns bestrafen, verachten und unser Recht auf ein selbstbestimmtes Leben missachten!

Berlin-Mitte: Am 3. Juni feuert ein Polizist bei einem Einsatz im Berliner Dom insgesamt vier Schüsse auf einen Besucher ab. Der laut Zeug*innen-Aussagen „verwirrte“ Mann habe sich aggressiv benommen und andere Menschen beschimpft. Als Grund für die Eskalation wird zuerst angegeben, der Mann sei mit einem Messer bewaffnet gewesen. Mittlerweile gibt es Zweifel an dieser Version. Die Mordkommission ermittelt noch, was genau im Dom geschehen ist. Der Dom-Besucher liegt unterdessen wegen seiner Beinverletzungen im künstlichen Koma. Ein Haftbefehl gegen ihn wurde nicht erlassen, er soll in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden. Es hätte noch schlimmer ausgehen können: Nach Recherchen der taz haben zwischen 2009 und 2017 deutschlandweit 74 Menschen durch Polizeischüsse ihr Leben verloren. Bei mehr als der Hälfte fänden sich Hinweise auf sogenannte „psychische Erkrankungen“.

Diese Meldungen haben wir gekürzt und aus verschiedenen Quellen zusammengefasst. Sie zeigen: Ausgrenzung, Unterdrückung und Menschenfeindlichkeit können wieder offen ausgeübt werden! Als vor fünf Jahren die erste „behindert und verrückt feiern“ Pride Parade stattfand, glaubten viele: Wir müssten nur noch besser erklären, dass eine Gesellschaft, die behinderte, verrückte, queere, geflüchtete und arme Menschen nicht ausgrenzt, unterdrückt und ausbeutet, die bessere Gesellschaft ist. Dann würden diejenigen, die dummerweise die Macht haben, schon das tun, was nötig ist, um es umzusetzen. Heute wissen wir: Diejenigen, die von dieser Ausgrenzung, Unterdrückung und Ausbeutung profitieren, wissen genau, was sie tun und warum sie es tun! Und sie kämpfen mit allen Mitteln dafür, dass sie weiter ihre Vorteile aus der jetzigen Situation ziehen können.

Ein Mittel dafür, das leider sehr gut funktioniert, ist, ausgegrenzte, unterdrückte und ausgebeutete Menschen gegeneinander auszuspielen. Rechtsgesinnte scheinen neuerdings die Gleichstellung von Frauen* und queeren Menschen als Thema für sich entdeckt zu haben. Sie missbrauchen das aber dazu, gegen geflüchtete und muslimische Menschen zu hetzen.

Wer das ausgrenzende Schulsystem erhalten will, stellt behinderte Kinder als „unzumutbar“ für andere Kinder dar. Wer keine Veränderungen in der Psychiatrie will, erklärt alle verrückten Menschen zur Gefahr für Andere - oder für sich selbst. Und wer Behinderteneinrichtungen erhalten will, erklärt Alternativen dazu kurzerhand für zu teuer, um die Steuerzahler*innen damit auch noch belasten zu können.

Es ist dabei immer dasselbe. Rechtsgesinnte - und damit meinen wir längst nicht nur die AfD - suchen sich eine ausgegrenzte, unterdrückte und ausgebeutete Gruppe aus und tun nur so, als würden sie sich für die Gruppe einsetzen. Tatsächlich tun sie aber nichts dergleichen, sondern missbrauchen die Gruppe nur dazu, eine andere Gruppe noch stärker auszugrenzen.

Dagegen wehren wir uns! Wir gehen laut auf die Straße! Wir, die wir mit Ausgrenzung, Unterdrückung und Ausbeutung zu kämpfen haben, sind oft leise, weil uns Angst gemacht wird oder weil wir bewusst klein gehalten werden, damit wir keine Forderungen stellen. Doch Widerspruch dagegen regt sich, auch wenn er dann oft leise beginnt. Einige sagen schon laut, wer und was sie ausgrenzt, und fordern selbstbewusst, also proud, Respekt. Alle zusammen sind wir solidarisch — untereinander und im Umgang mit Anderen, die diskriminiert und unterdrückt werden! Egal, ob leise oder laut, unser Motto, mit dem wir heute hier für unsere Rechte kämpfen, lautet: leise und laut – solidarisch und proud!

Nur, wenn wir miteinander statt gegeneinander kämpfen, erreichen wir eine wirklich inklusive Gesellschaft, die niemanden ausgrenzt, unterdrückt oder ausbeutet und stattdessen alle akzeptiert und respektiert und in der alle solidarisch miteinander sind!