Rede vom AK MoB
Diese Rede wurde vom AK moB – Arbeitskreis mit_ohne Behinderung auf der behindert und verrückt feiern Pride Parade 2015 gehalten:
Hallo,
wir begrüßen Euch zur dritten „behindert und verrückt feiern“ Pride Parade!
In unserem Aufruf für dieses Jahr steht unter anderem: Wir sind gegen „Inklusions-Fallerifallera“. Was meinen wir damit? Wir meinen: In der Politik wird zwar gern und viel über „Inklusion“ gesprochen, aber kaum etwas getan. Eigentlich heißt Inklusion: die Gesellschaft wird so verändert, dass alle Menschen überall in gleichem Maße teilhaben und mitmachen können. So steht es in der UN-Behindertenrechtskonvention, die auch in Deutschland gilt. Aber es passiert nichts. Man muss nicht einmal sehr kritisch sein, um das zu erkennen. Es genügt schon ein wenig Abstand. Im April hat ein Ausschuss der Vereinten Nationen sich angeschaut, wie die Konvention in Deutschland umgesetzt wird. Und er hat viel Kritik. Der Ausschuss nennt mehrere Punkte:
- Viele behinderte MigrantInnen haben nicht den gleichen Zugang zu öffentlicher Unterstützung. Asylsuchende mit Behinderung werden von Gesundheitsleistungen ausgeschlossen.
- Eine große Zahl behinderter Menschen muss in Heimen leben. Ihnen wird verweigert, selbstbestimmt zu Hause zu leben. Sie bekommen z.B. nicht das Geld für Persönliche Assistenz.
- UN-Ausschuss fordert Deutschland auf, dass alle Schulen inklusiv werden müssen und Förderschulen abgebaut werden.
- Noch ein Punkt: Für viele behinderte Menschen gibt es gibt keinen angemessenen Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt. Vielen bleibt nur die Behindertenwerkstatt. Die sollen ihre Beschäftigten eigentlich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vermitteln. Das machen sie aber kaum. Stattdessen wirbt eine große Berliner Werkstatt für eine „Karriere“ bei ihr. Dabei verdienen Menschen, die Vollzeit in Behindertenwerkstätten arbeiten, im Durchschnitt gerade einmal 180 Euro im Monat. Wir fügen hinzu: Die Beschäftigten haben zurzeit nicht einmal die Rechte von Arbeitnehmerinnen. Sie dürfen z.B. nicht streiken. Wir nennen das Ausbeutung!
- Und es kommt noch „besser“: Wer nicht unter diesen Bedingungen arbeiten sondern die Zeit mit anderen Dingen verbringen will, bekommt von den Sozialämtern dafür oft nicht die benötigte Unterstützung. Es bleibt dann also nur die Wahl, in der Werkstatt zu arbeiten oder ohne Unterstützung zu Hause zu bleiben.
- Das und noch einiges andere kritisiert der UN-Ausschuss an Deutschland. Wir könnten all dem noch viel hinzufügen.
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Die Bundesregierung kündigt seit langem ein „Bundesteilhabegesetz“ an. Im nächsten Satz sagt sie aber immer, dass es nicht mehr kosten darf, als das, was heute „Eingliederungshilfe“ heißt. Das ist aber oft viel zu wenig. Zusätzlich wollen die sogenannte „Behindertenhilfe“ und die Wohlfahrtsverbände, dass ihre Einrichtungen so bleiben, wie sie sind. „Inklusion“ soll es nur als Sahnehäubchen oben drauf geben. So kann es kein Teilhabegesetz geben, dass den Namen verdient! Für uns muss ein Teilhabegesetz mindestens ein paar Bedingungen erfüllen:
- Wer Persönliche Assistenz und Unterstützung braucht, muss sie bekommen. Niemand darf zum Leben im Heim oder einer WG gezwungen werden.
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Taube und hörbehinderte Menschen müssen genügend Übersetzungshilfen bekommen, um ihre Freizeit bequem auch mit Hörenden zu verbringen oder um mit ihnen politisch zusammenzuarbeiten.
- Wer arbeiten möchte, soll das zu fairen Bedingungen tun können. Wer nicht arbeiten will, muss Unterstützung bei dem bekommen, womit sie_er ihre_seine Zeit verbringen will
- Es gibt immer noch viel zu wenig barrierefreie Literatur für blinde Menschen. Dabei müsste ein internationaler Vertrag, der das ändern soll, nur noch unterschrieben und umgesetzt werden.
- Schauen wir zum Schluss mal woanders hin: Es gibt zurzeit jeden Tag neue Meldungen über die Situation in Griechenland. Wir wissen: Dort müssen viele behinderte Menschen und ihre Angehörigen ausgegrenzt und in Armut leben. Grund dafür ist die Weltwirtschaftskrise, verursacht durch eine kapitalistische Ökonomie. Grund dafür ist aber auch die Politik Deutschlands und anderer EU-Staaten, die Griechenland Sozialkürzungen aufzwingt.
Deshalb müssen wir weiter denken: In Deutschland wird es bald vermutlich ein Teilhabegesetz geben. Aber wir möchten mehr! Es ist wichtig, dass die Menschen mitreden können, wenn sie von Gesetzen betroffen sind. Die Behindertenbewegung hat das früh erkannt und gesagt: Nichts über uns, ohne uns! Wir möchten weiter dafür kämpfen, dass alle Menschen ihre Angelegenheiten wirklich demokratisch und an ihren Bedürfnissen orientiert regeln können. Nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft. Das ist ein sehr großes und fernes Ziel, das sich nicht in kurzer Zeit erreichen lässt. Aber wir finden trotzdem: Es lohnt sich, über konkrete Schritte nachzudenken, die in diese Richtung führen. Und wenn wir uns in diese Richtung bewegen, dann kann uns niemand mehr ein Fallerifallera für Inklusion verkaufen.
Ihr fragt euch vielleicht: Gibt es denn nichts zu feiern? Doch, es gibt was zu feiern. Die Pride Parade feiert die Emanzipation von behinderten und verrückten Menschen. Sie feiert ihren Widerstand. Sie feiert ihre Etappensiege. Und sie feiert die produktive Unruhe, die wir schon allein dadurch stiften, dass es uns gibt. Wir freuen uns, dass ihr heute alle hier seid. Und wir freuen uns, mir euch zusammen laut zu sein, zu tanzen und zu fordern, was wir brauchen.