Glitzerkrücke 2018
Liebe Leute! Liebe Freaks und Krüppel! Verrückte und Lahme! Eigensinnige und Blinde! Taube und Normalgestörte!
Diejenigen, die in den letzten Jahren bereits mit uns gekämpft haben, werden sich erinnern: an die einzigartige, wunderschöne, rosa-lila-silberne Krücke, vorgesehen für nur die speziellsten behindertenpolitischen Errungenschaften.... Ein ganzes Jahr musste sie wieder warten, unabgeholt, sie führte ein trauriges Dasein in der Paradenzentrale, aber heute ist es wieder so weit: Hier ist sie und sie strahlt wie nie zuvor – die mit Glanz und Glitza versehene Krücke – der exklusive Preis, den nicht jede/r haben kann!
Wir haben euch online wieder gebeten, Institutionen, Vereine, Behörden, Gesetze oder Unternehmen zu nennen, die sich in besonderer Weise darum verdient gemacht haben, Behinderte und Verrückte auszugrenzen, auszusortieren und zu benachteiligen.
2014 ging die heißbegehrte Krücke unter vielen Vorschlägen an die Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in Cuxhaven, die mit der Bundeswehr zusammenarbeitet. 2015 haben wir die „Urania“ dafür geehrt, dass sie Peter Singer ein Podium für seine behindertenfeindlichen Thesen gegeben hat. Und 2016 haben wir die Bundesregierung dafür geehrt, dass sie auch nach Jahren kein barrierefreies Notrufsystem zustande bekommen hatte. Letztes Jahr schließlich an die Lebenshilfe, in deren Einrichtungen behinderte Menschen misshandelt wurden und deren erste Reaktion auf die Aufdeckung des Skandals ein Angriff auf die Journalistin war.
Und auch in diesem Jahr habt ihr uns viele Vorschläge geschickt. Unsere Jury musste sich jedoch leider für drei entscheiden, die wir euch zur Wahl stellen. Nach einem knallharten Auswahlprozess, langen Beratungen und Diskussionen stehen diese nun fest. Hier sind sie:
1. AfD im Bundestag
Nicole Höchst, Abgeordnete der AfD im Bundestag, und ihre Fraktion wollten es wissen: Wie viele schwerbehinderte Menschen gibt es im Land, und wie hat sich deren Zahl entwickelt? Kann man ja mal fragen, auch wenn das Statistische Bundesamt das alle zwei Jahre veröffentlicht. Man kann auch fragen, wie häufig denn bestimmte Ursachen sind, auch das wird veröffentlicht.
Wenn sie aber so fragen, dass klar wird, dass sie am liebsten dafür sorgen würden, dass keine behinderten Menschen mehr geboren werden, dann diskriminieren sie behinderte Menschen. Der AfD reicht das aber längst nicht. Sie benutzt, besser missbraucht, auch behinderte Menschen dafür, gegen muslimische Geflüchtete zu hetzen. In ihren Fragen geht es nämlich eigentlich darum, ob die Zahl der Menschen gestiegen ist, die von Geburt an beeinträchtigt sind, weil ihre geflüchteten Eltern miteinander verwandt sind.
Behinderte Menschen diskriminieren und dann auch noch zur Diskriminierung von Geflüchteten missbrauchen - das geht gar nicht!
2. Das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Bayern
Wegsperren wird offenbar zum einzigen Prinzip der bayrischen Innenpolitik. Trotz breiter Proteste hat die CSU durchregiert. Mitte Mai hat Bayerns Regierungspartei das neue Polizeiaufgabengesetz im Landtag durchgepeitscht. Es erlaubt unter anderem eine zeitlich unbegrenzte Inhaftierung von sogenannten Gefährdern.
Nun nimmt die Söder-Regierung Menschen mit psychiatrischen Diagnosen ins Visier: Sie sollen mit dem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz wieder leichter und schneller in die Psychiatrie zwangseingewiesen werden. Denn laut dem im April eingebrachten Entwurf sollte gegen seinen Willen in eine psychiatrische Einrichtung gesteckt werden können, wer „Rechtsgüter anderer, das Allgemeinwohl oder sich selbst“ gefährdet. Eine sehr schwammige Formulierung. Kritiker*innen hatten moniert, der Entwurf enthalte nur vier Paragraphen zu Hilfemaßnahmen, aber 35, in denen es um die Abwehr vermeintlicher Gefahren mittels zwangsweiser „Unterbringung“ sogenannter Kranker“ gehe.
Doch heftige Proteste haben zumindest bewirkt: Von der geplanten Unterbringungsdatei, in der die persönlichen Daten der Patienten für fünf Jahre gespeichert werden sollten und die auch der Polizei zugänglich sein sollte, ist nun nicht mehr die Rede. Auch ein weiterer Punkt aus dem ursprünglichen Entwurf verschwindet: der Maßregelvollzug für so genannte psychisch kranke Straftäterinnen. Dann wären beispielsweise Krankenbesuche per Video überwacht worden. Auch wäre es psychisch-kranken Patientinnen nicht mehr gestattet gewesen, Mobiltelefone zu nutzen.
So oder so ist das geplante Gesetz ein riesiger Rückschritt und ein Skandal. Denn es diskriminiert und stigmatisiert Menschen mit psychiatrischen Diagnosen.
3. PayPals „Verrückt“-Werbekampagne
Paypal heisst ein börsennotierter Betreiber eines Online-Bezahldienstes und hat eine neue Markenkampagne. Das Motto: „Verrückt wäre nur, wenn man nicht mit PayPal bezahlt“. Nun können die „verrücktesten Dinge“ im Netz gekauft werden. Zum Beispiel ein blaues Riesenkuscheltier oder Autofelgen: hui, wie verrückt! Und nun kann neben einfachen Überweisungen, auch noch Geld an Freund_innen oder kostenlose Retouren versendet werden - noch nie dagewesen, einfach verrückt!!!
Dass hat bestimmt auch damit zu tun, dass schon Paypal-Gründer Peter Thiel sein ganzes Unternehmerleben lang „verrückte Ideen“ finanziert hat. Und so auch Trumps Wahlkampf mit 1,25 Millionen Dollar, weil er die USA wieder zu einem „normalen Land“ mache.
Im Übrigen finde Paypal auch die Speicherung biometrischer Daten ok und auch das Sperren von Konten von vermeintlich Terrorverdächtigen (oder Personen mit Namensähnlichkeiten), sowie WikiLeaks Spendenkonten.
Neues will gut beworben werden und na klar – wie so oft – auf den Schultern von Personen, die als ‚Anders‘ gelten. Das Wort verrückt meint im Falle der Werbung absonderlich, vernunftswidrig, unbedacht, ausgefallen, hipp, lustig, extravagant. Es negiert vollkommen, dass verrückt in den meisten Fällen mit einer Pathologisierung und der Botschaft „du bist nicht normal, du bist krank“ einhergeht - Und damit negiert wird auch die Lebensrealität von verRückten Personen und Personen die unter Psychopathologisierung zu leiden haben, eingesperrt werden, zwangsmedikamentiert werden oder aufgrund ihrer Diagnose ausgrenzt werden. Das ist nicht lustig – PayPal.
So, das sind die drei Nominierten:
Die AfD im Bundestag,
das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Bayern
und PayPals Verrückt-Werbekampagne.
Ja ja, die Glitzerkrücke verdienen alle, aber nur eine*r kann sie bekommen.
Jetzt seid ihr dran, jetzt werden wir zusammen den verdienten Gewinner aussuchen: Buht, klatscht, pfeift, stampft, hupt oder wedelt mit euren Händen. Zeigt, wer die die Glitzerkrücke am meisten verdient hat.
Jetzt für die die AfD?
Das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz?
Und schließlich PayPal?
Wir haben ein Ergebnis! Die Glitzerkrücke der Pride Parade 2018 geht an das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz in Bayern. Wir gratulieren.