Verdolmetschung von Musik – eine optische Täuschung?

Redebeitrag von Martin Vahemäe-Zierold

Was ist Musikdolmetschen?

Um Konzerte barrierefrei für taube Menschen zu organisieren werden Dolmetscher*innen auf der Bühne eingesetzt. Diese stehen neben der Band auf der Bühne und verdolmetschen die Liedtexte. Das können ganz verschiedene Musikrichtungen sein, Oper, Hip Hop, etc.

Was kann problematisch werden?

Da die Dolmetscher*innen neben der Band auf der Bühne stehen sind sie für alle im Publikum sehr sichtbar. Erfahrungsgemäß ist das Interesse von Hörenden im Publikum und den Medien sehr groß. Sie sind fasziniert von Gebärdensprache, der Möglichkeit, dass auch Lieder in Gebärdensprache übersetzt werden können. Da der*die Dolmetscher*in für sie der*die Expert*in für all deren Fragen zu sein scheint, werden Dolmetscher*innen nach dem Konzert mit Fragen gelöchert, um Interviews gebeten, etc. Die Fragen beziehen sich meist auf Gebärdensprache und Taubenkultur. Problematisch wird es wenn der*die Dolmetscher*in hörend ist und auf all die Fragen eingeht und damit über eine Minderheit spricht, der sie*er selbst nicht angehört. Damit werden Taube erneut an den Rand gedrängt.

Der*die hörende Dolmetscher*in hingegen bekommt viel Anerkennung, neue Aufträge und kann sein*ihr Einkommen enorm steigern. Sie erlangen Ruhm durch eine Sprache, die nicht ihre erste Sprache ist, und Kultur, der sie nicht angehören. Der Vorteil hörend zu sein und somit schnell und leicht auf Fragen von Hörenden eingehen zu können ohne das Hinzuziehen von Dolmetscher*innen wird dabei ausgenutzt.

Aufgabe von hörenden Gebärdensprachdolmetscher*innen ist das Übersetzen von einer Sprache in die andere. Fragen zu Taubenkultur und Gebärdensprache sollten von Expert*innen, also Tauben, beantwortet werden.

Dolmetscher*innen übersetzen nicht nur auf einer rein sprachlichen Ebene, sondern müssen die Kultur und den Hintergrund beider Sprachen bei der Übersetzung berücksichtigen. Lieder, sowie allgemein poetische Texte, stecken voller kultureller Eigenheiten. Diese angemessen in die Fremdsprache zu übertragen stellt eine große Herausforderung dar.

Schaut man sich Lautsprachdolmetscher*innen an fallen andere professionelle Standards auf. Bei Konferenzen übersetzen Dolmetscher*innen generell nur in die Muttersprache. Die Theorie dahinter ist, dass das Verstehen der Fremdsprache besser ist als das Sprechen und daher eine solche Richtung Sinn macht.
Beim Musikdolmetschen in Gebärdensprache ist dies nicht der Fall. In Deutschland dolmetschen taube Gebärdendolmetscher*innen nur sehr selten Musik.
Die Gebärdensprachgemeinschaft ist eine sprachlich kulturelle Minderheit. Sie wird in der Öffentlichkeit bisher nur sehr wenig wahrgenommen. Problematisch wird es wenn Taubsein und Gebärdensprachkultur von hörenden in der Öffentlichkeit thematisiert werden. Das drängt taube Menschen weiter in den Hintergrund. Es ist wichtig, dass Gebärdensprachler*innen Repräsentant*innen von Gebärdensprache und Taubenkultur sind. Aufklärungsarbeit sollte nicht durch hörende Dolmetscher*innen betrieben werden. Weiterhin erlangen Hörende durch Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Taubsein und Gebärdensprache Ruhm und Anerkennung durch eine Sprache, die nicht ihre erste Sprache ist, und Kultur, der sie nicht angehören. Sie werden in der Öffentlichkeit somit als Expert*innen wahrgenommen. Dies ist problematisch, wenn sie nicht hinzufügen in welcher Rolle sie sprechen.

Weiterhin ist anzumerken, dass Hörende, die nicht Teil der Gebärdensprachgemeinschaft sind Taubenkultur und Gebärdensprache aus hörenden Sichtweise darstellen. Damit wird die Sicht tauber Menschen übergangen und ist im öffentlichen Diskurs nicht sichtbar.

Wie könnte man mit dieser Problematik umgehen?

Vergleicht man Deutschland mit anderen europäischen Ländern fällt auf, dass diese Situation in anderen Ländern besser geregelt ist. Dort arbeiten taube und hörende Dolmetscher*innen bei kulturellen Veranstaltungen, wie beispielsweise Konzerten selbstverständlich zusammen.

Dies könnte vorbildhaft für Deutschland sein. Wie bereits angemerkt sind Dolmetscher*innen sowohl Sprachmittler*innen als auch Kulturmittler*innen. Lieder sind häufig poetische Texte, die sehr anspruchsvoll sind. Sie weisen meistens kulturelle Eigenschaften auf. Diese in eine andere Sprache zu übersetzen verlangt eine hohe Kompetenz.

Taube Dolmetscher*innen verfügen über eine extra-linguistische Kompetenz (ELK). Sie kennen nicht nur die Srache, sondern auch die kulturellen Besonderheiten der Gebärdensprachgemeinschaft, da sie Teil dieser sind und dort sozialisiert worden.

Daher ist es meiner Ansicht nach am besten wenn taube und hörende Gebärdendolmetscher*innen beim Musikdolmetschen zusammenarbeiten. Die Zusammenarbeit sollte wie folgt aussehen. Die*der hörende Gebärdendolmetscher*in übersetzt das Lied als erste Version und beschreibt die Stimmung und musikalischen Besonderheiten. Der*die taube Gebärdensprachdolmetscher*in überarbeitet diesen Übersetzungsentwurf und berücksichtigt dabei sprachliche und kulturelle Besonderheiten, die in der Rohfassung eventuell noch nicht enthalten sind.

Offene Fragen für die Zukunft:

Bezüglich der dargestellten Problematik sollte die Berufs- und Ehrenordnung des Verbands der Gebärdensprachdolmetscher*innen überarbeitet werden. Bisher gibt sie keine Auskunft über performatives Dolmetschen, also Dolmetschen von kulturellen Veranstaltungen, und zeigt Grenzen für Dolmetscher*innen damit nicht auf.

Ein weitere Problematik ist, dass es bisher keine Kontrollinstanz gibt, die Dolmetscher*innen prüft, ob sie den Ehrenkodex der Berufsordnung folgen. Dies könnte von staatlicher Seite eingeführt werden oder an die Antidiskriminierungsstelle angegliedert werden.