Hallo liebe Leute,

herzlich willkommen zur sechsten Behindert und verrückt Feiern Pride Parade! Wir freuen uns, dass so viele von euch da sind! Dieses Jahr starten wir hier an der Jannowitzbrücke und nehmen eine neue Route. Wir beenden die Parade wie gewohnt am Café Südblock in Kreuzberg. Vielleicht hab ihr euch gefragt, warum wir an einem neuen Ort starten. Wir wollen uns zeigen, so wie wir sind und zwar überall. Nicht nur in Neukölln und Kreuzberg, wo die Parade bekannt ist. Auch hier in Berlin Mitte sollen die Leute mitkriegen, welche Themen für uns wichtig sind! Dieses Jahr setzen wir auf Gemeinsamkeiten! Unser Motto lautet Kämpfe verbinden – Normen überwinden. Gemeinsamkeiten rausfinden, statt Unterschiede zu Hürden machen und zusammen gesellschaftliche Normen wegfeiern!

Normen, das sind Vorstellungen, die die Gesellschaft darüber hat, wie Menschen sein sollen. Die Gesellschaft sagt zum Beispiel: Du sollst gesund sein; du sollst dünn sei; du sollst schnell gehen, hören, mit deiner Stimme für alle anderen verständlich sprechen, und sehen können; du sollst ein eindeutiges Geschlecht haben; du sollst heterosexuell lieben, also nur Menschen, die ein anderes Geschlecht haben als du selbst; du sollst arbeiten, und so weiter.

Diese Normen werden von Menschen gemacht. Zum Teil auch von uns. Menschen, die die Normen machen wollen, dass alle so sind wie sie. Oder sie wollen, dass nur die bestimmen dürfen, die so sind wie sie selbst. Wer nicht so ist wie die Menschen, die die Norm bestimmen, soll sich anpassen, ruhig sein oder verschwinden. Dafür wird gesellschaftlich viel getan.

Zum Beispiel bekommen Menschen, die nicht hören können, oft eine teure Hörprothese in den Kopf eingebaut. Manche Ärzt*innen und Ämter haben schon versucht, das bei kleinen Kindern gegen den Willen der Eltern durchzusetzen. Mit der Prothese hören viele Menschen, die sie haben, nicht gut.

Menschen, die „normal“ hören, glauben aber, dass die Prothese reicht. Sie sagen: „Du kannst mit der Prothese hören. Du brauchst keine Gebärdensprache. Also zahlen wir keine Gebärdensprach-Kurse und Dolmetscher*innen.“ Die Menschen, die die Norm bestimmen, nehmen damit tauben Menschen ihre Sprache und Kultur. Und sie nehmen ihnen auch die Möglichkeit, ihre Gedanken auszudrücken.

Erzwungene Operationen gibt es auch an inter*geschlechtlichen Kindern, also Kindern, die keinem Geschlecht eindeutig zuzuordnen sind. Die Menschen, die die Normen machen, wollen nicht, dass es „uneindeutige“ Menschen gibt. Sie sagen: Du musst „Mann“ oder „Frau“ sein. Jetzt gibt es ein neues Gesetz, dass ein drittes Geschlecht zulässt. Dieses Geschlecht heißt „divers“. „Divers“ können bisher inter*geschlechtliche Menschen sein. Leider müssen noch immer Ärzt*innen unterschreiben, dass das „stimmt“. Wir finden jede Person sagt selbst, ob sie einem Geschlecht angehört und wenn ja, welchem. Egal, wie der Körper aussieht oder was die Norm sagt. Die, die die Normen bestimmen, sagen dazu: Das ist psychisch krank. Jede Person kann nur ein Geschlecht haben und zwar das, was bei der Geburt bestimmt wurde. Wer das nicht so fühlt, soll behandelt werden.

Das geht auch vielen anderen so, die nicht so funktionieren, wie es diejenigen wollen, die die Normen bestimmen. Die Psychiatrie will Menschen viel zu oft nur an die Normen anpassen und zum Funktionieren bringen. Dafür setzt die Psychiatrie auch Zwang ein. So wie im Fall von Tonou- Mbobda, der im April durch Gewalt und Zwang in einer Psychiatrie in Hamburg getötet wurde! Die Psychiatrie kümmert sich viel zu wenig darum, herauszufinden, warum Menschen Probleme und Krisen haben. Sie kümmert sich viel zu wenig darum, was den Menschen wirklich hilft.

Wenn Menschen sich weigern, sich der Norm anzupassen oder sich nicht anpassen können, werden sie ausgesperrt oder aussortiert. Viele Hindernisse halten behinderte Menschen davon ab, in der Gesellschaft mitzumachen und sie mitzugestalten. Das sind zum Beispiel Stufen, schlecht gemachte Internet-Seiten, Videos ohne Untertitel oder Texte in schwerer Sprache. Menschen, die Unterstützung brauchen, bekommen nur selten, genau das, was sie brauchen. Stattdessen müssen sie oft in Sonderschulen lernen, in Werkstätten arbeiten und in Wohnheimen wohnen. Das macht für die Menschen, die die Normen bestimmen, das Leben leichter. Sie müssen sich dann nicht ändern. Sie müssen sich dann nicht mit Menschen auseinandersetzen, die nicht ihrer Norm entsprechen.

Auch chronisch kranke Menschen kämpfen oft mit den Normen. Und sie kämpfen damit, dass andere Menschen glauben, sie könnten die Norm erfüllen. Das führt zu mehrfachem Druck: Zum Funktionieren, zum Sich-Offenbaren und zum Beantworten der Frage, wann es besser ist, die Krankheit zu zeigen, und wann es besser ist, sie zu verstecken.

In den letzten Jahren sind viele Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland gekommen. Sie sind vor Krieg geflohen. Oder sie sind geflohen, weil sie politisch unterdrückt wurden oder arm waren. Viele Menschen, die die Norm bestimmen, wollen, dass geflüchtete Menschen nicht in Deutschland bleiben. Deswegen bekommen Geflüchtete sehr wenig Geld, müssen in Wohnheimen leben, dürfen nicht arbeiten und werden gezwungen, Deutschland zu verlassen.

Das sind einige von den Kämpfen, die viele Menschen jeden Tag führen, weil die Norm sagt, dass sie nicht gut sind, so wie sie sind.

Wir finden aber: Alle Menschen sind gut und schön, so wie sie sind. Und wir wollen, dass alle so leben können, wie und wo sie wollen. Damit das geht, müssen wir Normen überwinden, die sagen, wie Menschen sein müssen. Normen stehen nicht fest. Normen werden von Menschen gemacht, die bestimmen können. Wir können sie ändern und beseitigen, wenn wir uns zusammentun: Behinderte Menschen und queere Menschen, verrückte Menschen und Menschen, die nicht weiß sind, sehr alte und geflüchtete Menschen, kranke Menschen – Zusammen verbinden wir heute auf der Straße unsere Kämpfe! Lasst uns zusammen laut oder leise, lachend oder weinend, feiernd oder wütend KÄMPFE VERBINDEN – NORMEN ÜBERWINDEN!!!