Diese Rede hat Uta Wagenmann vom Gen-ethischen Netzwerk auf der behindert und verrückt feiern Pride Parade 2014 gehalten:

Hallo, allesamt – toll, dass wir auf der zweiten Pride Parade wieder so viele sind! Toll nicht nur, weil die Parade wirklich Spaß gemacht hat letztes Jahr. Sondern auch, weil es so sehr wichtig ist, sich nicht zu verstecken.

Weil es so sehr wichtig ist, das Denken gehörig durcheinander zu bringen, das Menschen in Schubladen wie “krank”, “verrückt” oder “behindert” steckt. Dagegen anzutanzen und anzufeiern, dass Beeinträchtigungen ganz selbstverständlich und ausschließlich mit etwas Schlechtem, mit Leiden verbunden werden.

Sich nicht zu verstecken, ist auch deshalb wichtig, weil es zunehmend selbstverständlicher wird, dass Embryonen mit Beeinträchtigungen vor der Geburt ausgesondert werden. Wir vom Gen-ethischen Netzwerk sind – als unabhängiger Verein – seit vielen Jahren aktiv gegen diese Selbstverständlichkeit.

Deswegen haben wir auch im letztem Jahr schon hier gestanden und über neue Untersuchungsmethoden gesprochen, die es möglich machen, Beeinträchtigungen schon früh in der Schwangerschaft zu erkennen und damit die Aussonderung noch einfacher machen.

Diese neuen Tests, mit denen das Blut der Schwangeren untersucht wird, suchen nach “Behinderungen”, nach “Defiziten”, nach “Mängeln” beim Embryo. Dabei geht es einzig und allein darum, diejenigen auszusortieren, die den Qualitätscheck nicht bestehen. Damit Kinder nicht geboren werden, wenn sie nicht so sind wie das, was als “normal” gilt.

Heute, ein Jahr später, müssen wir wieder über diese Tests sprechen. Denn es sieht ganz danach aus, dass sie bald zum Routineprogramm in der Schwangerenversorgung gehören. Im letzten Jahr mussten sie noch selbst bezahlt werden, und so wurden sie nicht so häufig in Anspruch genommen. Nun werden die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten übernehmen. Das hat im Mai der Gemeinsame Bundesausschuss beschlossen – das ist das Beschlussgremium von Ärzteschaft, Krankenhäusern und gesetzlichen Krankenkassen.

Zunächst sollen die Tests nur “vorläufig”, im Rahmen einer Studie, bezahlt werden – aber das kennen wir schon, damit ist der erste Schritt zur Routine gemacht. Bald werden sie ganz selbstverständlich bezahlt werden.

Das ist das Gegenteil von Inklusion: Wer Hilfsmittel oder gar eine persönliche Assistenz braucht und deshalb bezahlt bekommen möchte, muss das lang und breit begründen. Aber für Technologien, die die Aussonderung vor der Geburt einfach machen, werden öffentliche Gelder problemlos zur Verfügung gestellt. Beides ist untragbar! Beides gehört geändert, und zwar sofort! Deshalb fordern wir die gesetzlichen Krankenkassen auch auf, ihre Entscheidung zu den Tests zurückzunehmen!

Und wir fordern die Leute, die in dem Gremium sitzen, um die Interessen von chronisch Kranken und von Behinderten zu vertreten, dazu auf, das auch zu tun! Es ist kaum zu glauben, aber auch der deutsche Behindertenrat hat der Entscheidung der gesetzlichen Krankenkassen nicht widersprochen. Ich kann nur wiederholen, was wir schon im letzten Jahr gesagt haben: Wir wollen keine Qualitätschecks! Wir wollen eine Welt von und für Menschen, und zwar so wie sie sind. Wir wollen keine Gesellschaft, die aus “Leistungsträgern” besteht, oder aus “Humankapital”. Weil so eine Gesellschaft nicht nur extrem langweilig wäre, sondern auch grausam. Denn dann geht es nur noch um Ausgrenzung. Nehmen wir uns heute die Straße auch, damit das nicht passiert! Tanzen wir an gegen das “Normal-Sein”, feiern wir das Leben in seiner ganzen Vielschichtigkeit - mit oder ohne Handicaps, normalgestört oder verrückt. Wir haben nur dieses eine!