Rede Berliner Bündnis "Stop Trans*-Pathologisierung"
Diese Rede wurde vom Berliner Bündnis "Stop Trans*-Pathologisierung" auf der behindert und verrückt feiern Pride Parade 2013 gehalten:
Seit Jahrzehnten wird Personen, die zur Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität eine Personenstandsänderung oder eine chirurgische Veränderung ihrer Körper bzw. andere medizinische Maßnahmen benötigen, abverlangt, sich als „psychisch krank“ diagnostizieren zu lassen. Die Psychiater_innen weisen ihnen die Diagnose „Geschlechtidentitätsstörung“ zu. Was zunächst nur als Markierung einer psychischen Störung im Raum steht, wird allerdings von Personen im Arbeits- und sozialen Umfeld so verstanden, als wenn die Person dauernd krank und zur "normalen" Interaktion unfähig ist. Deshalb gelten Trans*-Personen dann zum Beispiel bei Behörden als seelisch gestört oder behindert. Wegen dumpfer Vorurteile fallen Trans*-Personen weltweit Hassverbrechen zum Opfer. Derartige transphobe Vorurteile, Zuschreibungen und Unterstellungen haben auch für Menschen, die hier leben, eklatante Folgen: Kündigungen durch Arbeitgeber und Vermieter, Angriffe, Übergriffe und Überfälle im öffentlichen Raum, Verweigerung der Arbeitsvermittlung, Einladung zu psychologischen Gutachten bei Arbeitsagentur und Jobcenter, Ausschließung aus dem Erwerbsarbeitsprozess als erwerbsunfähig sind einige Folgen.
Wir vom Berliner Bündnis "Stop Trans*-Pathologisierung" fordern als Teil einer internationalen Kampagne von mehr als 360 Gruppen weltweit seit 2009 die Streichung der pathologisierenden Psycho-Diagnose „Geschlechtsidentitätsstörung“ aus den internationalen Krankheitskatalogen DSM und ICD. Die Kataloge werden seit Jahren ohne öffentliche Beteiligungsmöglichkeiten überarbeitet.
Unter dem Begriff „Genderdysphorie“ wird die Pathologisierung in dem im Mai diesen Jahres von der amerikanischen Psychiater-Vereinigung beschlossenen DSM-5 weitergeführt. Mit diesem neuen, alten Begriff wird die Pathologisierung auf nicht hetero-normative Gender-Ausdrucksweisen mit Kategorien wie ‘Transvestitische Störung’ und Konzepte von ‘Autoandrophilia’/ ‘Autogynephilia’ erweitert.
Die internationale Kampagne fordert die Streichung von trans*-bezogenen Kategorien aus dem 5. Kapitel des ICD der Weltgesundheitsorganisation. Anlässlich seiner Überarbeitung schlugen im Jahr 2012 vor, eine nicht pathologisierende Nennung von trans*-spezifischer Gesundheitsversorgung dort einzuführen - als einen weder als Erkrankung noch als Störung definierten und öffentlich finanzierten Gesundheitsprozess.
Denn der Gesetzgeber in Argentinien hat gezeigt, dass es möglich ist, eine nicht pathologisierende Gesundheitsversorgung für Trans*-Personen zu erreichen. Das hat uns Mut gemacht. Denn es hat bewiesen, daß eine Trans*-Entpathologisierung - auch an den verknöcherten Festungen der Psychiater_innenorganisationen vorbei - machbar ist. Mit dem argentinischen Gender-Identitäts-Gesetz hat die Entpathologisierung von Trans* den Bereich der Utopie verlassen.
Die internationale Kampagne "Stop Trans*-Pathologisierung setzt nun ihre Hoffnungen über das Jahr 2012 hinaus auf die Diskussionen zu einem neuen ICD der WHO, der im Mai nächsten Jahres beschlossen werden soll. Unsere Forderung nach Streichung von trans*-spezifischen Kategorien aus dem 5. Kapitel des ICD und der Vorschlag , eine nicht-pathologisierende Kategorie einzuführen, wurde auch durch einige andere LGBTIQ-Netzwerke und vom Europäischen Parlament unterstützt. Selbst einige Mitglieder der Arbeitsgruppe der WHO, die die trans*-spezifischen Kategorien im ICD überarbeiten, haben im letzten Dezember ihren Willen erklärt, das psychopathologische Modell aufzugeben und sich an qualitativ hochwertigen Gesundheitsdienstleistungen, die den Menschenrechten und den Bedürfnissen von Trans*-Personen entsprechen, zu orientieren. Allerdings haben sie bisher keine genauen Vorschläge veröffentlicht und sie benutzen weiterhin altbekannte pathologisierende Begriffe wie „Gender-Inkongruenz“.
Wir mahnen an, die internationale Kampagne "Stop Trans*-Pathologisierung 2012" weiterzuführen, ihre Inhalte und Forderungen zu verbreitern.
Wir fordern die vollständige Streichung der Kategorien ‘Gender Dysphoria’ und ‘Transvestic Disorders’ aus dem DSM-5 und im ICD. Im Moment sind unsere Forderungen an die WHO:
- Die völlige Streichung der Kategorien F64, F65.1 und F66 aus dem 5. Kapitel des ICD.
- Die Einführung einer nicht-pathologisierenden Nennung von trans*- Gesundheitsversorgung, als ein Gesundheitsprozess, der nicht auf Erkrankung oder Störung beruht, aber aus öffentlichen Mitteln finanziert wird.
- Die sofortige Veröffentlichung des Vorschlags der WHO-Arbeitsgruppe für „Classification of Sexual Disorders and Sexual Health“ (WGSDSH), um einen Diskussionsprozess in der Trans*-Bewegung zu ermöglichen.
- Die kontinuierliche Beteiligung der trans*-Bewegung, Transparenz & genaue Informationen im Überarbeitungsprozess des ICD.
Der nächste Internationale Aktionstag für Trans Entpathologisierung findet am Samstag, den 19. Oktober 2013 statt.