Rede Gen-ethisches Netzwerk e.V.
Diese Rede wurde vom Gen-ethisches Netzwerk auf der behindert und verrückt feiern Pride Parade 2013 gehalten:
Hallo, allesamt – wie schön, dass wir hier zur pride parade zusammengekommen sind!
Der Umzug heute spricht uns aus der Seele: Seit vielen Jahren sind wir aktiv gegen Gesundheitswahn, Normierung und Diskriminierung.
Nach wie vor sollen Menschen aussortiert werden, die in dieser Gesellschaft als weniger leistungsfähig, als krank, als behindert und, vor allem, als – prinzipiell und immer – leidend angesehen werden. Seit einem Jahr gibt es Tests, mit denen im Blut der Schwangeren die DNA des Embryo untersucht werden kann. Gesucht wird nach “Behinderungen”, “Defiziten”, “Mängeln” – zu dem einzigen Zweck, diejenigen auszusortieren, die diesen Qualitätscheck nicht bestehen. Kinder, die nicht der Norm entsprechen, sollen nicht geboren werden. Die Botschaft ist simpel: So jemand wie du hat ein Leben, das nur aus Leiden besteht. So jemanden wie dich können wir nicht brauchen. Und die Botschaft versteckt sich hinter einem Wort: Selbstbestimmung. Durch Tests in der Schwangerschaft sollen Frauen selber bestimmen können, wie ihr Leben mit einem Kind aussehen wird.
Was für ein Hohn!
Ein Hohn, weil die Tests keiner Frau eine Antwort darauf geben können, ob ein Leben mit Kind für sie gerade passt oder nicht. Das kann nur sie selbst beantworten und auch nur sie selbst bestimmen. Deshalb stehen wir (übrigens) auch nach wie vor zum Recht auf Abtreibung. Ein Hohn ist das Reden von der Selbstbestimmung auch, weil die Tests Frauen zu einer Entscheidung drängen, und zwar für oder gegen ein Kind mit Behinderung. Noch dazu wird ihnen der medizinische Blick auf ihr werdendes Kind aufgezwungen, der nur zwischen “gesund” und “krank” unterscheiden kann und der das eine als “gut”, das andere als “schlecht” bewertet. Was hat das mit Selbstbestimmung zu tun?
Selbstbestimmung ist wirklich das falsche Versteck für die Botschaft vom Lebenswert! Diese absurde und schreckliche Vision, dass Leid - vor dem wir alle Angst haben - abgeschafft werden kann, und zwar mitsamt den Menschen, denen es auf den Leib geschrieben wird! Diese Vision müssen wir mit allen Kräften bekämpfen! Schluss mit der Unterscheidung zwischen “lebenswert” und “nicht lebenswert”!
Wir wollen keine Qualitätschecks und Normen, nicht für leibhaftige Menschen und nicht für Ungeborene!
Kein Test schützt vor den Wechselfällen des Lebens – wie ein Kind und das Leben mit ihm sein wird, kann niemand vorher wissen. Das Leben ist unvorhersehbar und steht nicht in den Genen. Krankheit, Bedürftigkeit, Schmerz können uns alle immer treffen und gehören genauso dazu wie Wohlgefühl, Freude und Glück. Die Zukunft ist ungewiss! In diesem Sinne wünschen wir uns mit euch eine verrückte Zukunft! Eine Zukunft, in der unsere Visionen von einem anderen, schöneren und gerechteren Zusammenleben nicht mehr behindert werden!