Rede Bündnis zu Polizeigewalt am Neptunbrunnen
Diese Rede wurde vom Bündnis zu Polizeigewalt am Neptunbrunnen auf der behindert und verrückt feiern Pride Parade 2013 gehalten:
Wir sind heute hier um gemeinsam zu feiern und Spaß zu haben.
Und doch möchten wir an einen sehr erschreckenden Vorfall erinnern: Was ist passiert?
Ein Mann steht am Freitag, den 29.6. im Neptunbrunnen in Berlin Mitte mit einem Messer in der Hand und verletzt sich. Umstehende Passant_innen rufen Polizei und Rettungswagen. Polizist_innen bewegen sich auf den Mann zu, ein Polizist steigt in den Brunnen. Es fällt ein Schuss, der den 31jährige Manuel F. tödlich trifft. Er stirbt noch im Rettungswagen an einem Lungendurchschuss. Ein Video, dass die Tat aufzeigt, ist bei Facebook und Youtube zu finden. Dem folgen Auseinandersetzungen und Diskussionen im Internet und den Medien.
Schon am Tag nach der Tat erklärt die Staatsanwaltschaft, es spreche Einiges dafür, dass der Beamte in Notwehr gehandelt habe. Auch die Polizei – allen voran die Polizeigewerkschaft – rechtfertigen das Handeln des Polizisten mit Notwehr. Politiker von Innensenator Henkel bis zum Grünen-Bundestagsabgeordneten Wieland schließen sich an. Psychiater geben Interviews, in denen als Ursache vermutet wird, dass Manuel F. seine Psychopharmaka nicht eingenommen habe. Nur selten wird gefragt: Warum ist der Polizist in den Brunnen gestiegen? Warum ist er nicht zurück gewichen, als Manuel F. mit dem Messer auf ihn zukam? So hat der Polizist doch eigentlich erst die 'Notwehrsituation' hergestellt und ein bedrohliches Szenario geschaffen.
In der Presse taucht immer wieder die Diagnose Schizophrenie auf. Zum Beispiel stand in der Berliner Morgenpost:
„So hat der 31-Jährige offenbar an Schizophrenie gelitten. Möglicherweise ist diese psychische Erkrankung eine Erklärung dafür, warum der studierte Betriebswirt, der einen festen Job hatte, sich am Freitag öffentlich auszog und begann, sich selbst mit einem Messer zu verletzen.“
Die Berliner Zeitung schrieb sogar von „aggressiver Schizophrenie“.
Erklärt wird das 'verrückte' Verhalten von Manuel F. also mit seiner Diagnose. Es wird ein Bild von 'psychisch Kranken' als angsteinflößenden, gefährlichen, verwirrten und unzurechnungsfähigen Menschen gezeichnet. Nach der Persönlichkeit des Polizisten, der Manuel F. erschossen hat, nach seinen „aggressiven Persönlichkeitsanteilen“ oder „destruktiven Impulsen“, wird nicht gefragt. Die Gewalt der Einen gilt als „krank“, die Gewalt der Polizei aber als „normal“.
Schon 2011 hat die Berliner Polizei eine Frau in ihrer Wohnung erschossen. Andrea H. sollte zu einer psychiatrischen Begutachtung gebracht werden. Sie, die große Angst vor Einbrechern hatte, wurde in ihrer Wohnung von der Polizei massiv bedrängt und ging dann mit einem Messer auf die Beamten los. Obwohl selbst Polizeiforscher sagen, dass die Polizei komplett falsch gehandelt hat, wurden die juristischen Ermittlung nach vier Wochen eingestellt. Der Beamte von damals, der geschossen hat, ist wieder regulär im Dienst.
Offenbar können Polizist_innen also ungestraft Menschen erschießen, wenn diese als „geistig verwirrt“ bezeichnet werden und müssen keinerlei berufliche oder juristische Konsequenzen fürchten.
Wir als Pride Parade-Bündnis solidarisieren uns mit den Angehörigen, Freund_innen und fordern:
- eine unabhängige Untersuchung des Tathergangs.
- Die sofortige Entlassung aus dem Polizeidienst
- ein Ende der öffentlichen Hetze gegen „Schizophrene“ und so genannte „geistig Verwirrte“
- Schluss mit der Polizeigewalt gegen Psychiatrie-Betroffene!