Rede AK Psychiatriekritik
Diese Rede wurde vom AK Psychiatriekritik auf der behindert und verrückt feiern Pride Parade 2014 gehalten:
In der Psychiatrie entscheidet das Personal, ob ein Mensch krank ist oder nicht. Das nennen wir Fremdbestimmung, weil man nicht selbst entscheiden kann! Wer nicht freiwillig bleiben möchte, wird oft gezwungen zu bleiben. Das wird Zwangsunterbringung genannt.
Die Richter_innen, die die Entscheidung über die Unterbringung fällen, sind oftmals nicht neutral oder glauben nur den Ärzt_innen. Menschen, die den Richter_innen vorgeführt werden, befinden sich nicht in ihrem gewohnten Umfeld und stehen zumeist bereits unter Einfluss der Psychopharmaka.
Diese sogenannten “Medikamente” verändern das Bewusstsein. Sie haben sehr schädliche Auswirkungen auf unter anderem Gehirn, Bewegungen und Emotionen. Psychopharmaka bilden die Grundlage der Behandlung in der Psychiatrie. Wer sie nicht freiwillig nimmt, bekommt sie oftmals per Zwang verabreicht. Wer einmal per Zwang in der Psychiatrie untergebracht ist, ist außerdem ständig in Gefahr Gewalt durch das Personal zu erfahren. Entlassen werden nur Menschen, die sich der Meinung der Ärzt_innen unterworfen haben.
Und nun stell dir vor, du sitzt in deiner Wohnung. Du wunderst dich, als es plötzlich an der Tür deiner Wohnung klopft. Du hast keinen Besuch mehr erwartet. Du erschrickst noch viel mehr, als du die Tür öffnest. Vor dir stehen zwei dir unbekannte Menschen, gefolgt von zwei uniformierten Polizist_innen. Sie fragen dich, wie es dir geht, während sie prüfende Blicke durch deine Wohnung, deine Privatsphäre streifen lassen. Anstatt auf deine irritierten Gegenfragen einzugehen, beschließen sie, dir geht es so gar nicht gut. Du bist eine Gefahr für dich selbst, für andere oder für sogenannte bedeutende Rechtsgüter. Du sollst mitkommen. Sie machen klar: entweder freiwillig oder durch Zwang. Zu deinem eigenen Wohl. Du wirst in die Psychiatrie gebracht.
Noch wirkt das wie eine Gruselgeschichte. Derzeit wird jedoch die Grundlage, um diese Geschichte wahr zu machen überarbeitet. Der aktuelle Entwurf des „Psychisch-Kranken-Gesetz“ sieht vor, dass nun auch einer staatlichen Behörde, dem Sozialpsychiatrischen Dienst, Zutritt zu Wohnungen ermöglicht wird. Auch wenn die Menschen, die dort wohnen, das nicht wollen! Eine Beschwerde von Nachbar_innen oder ein Anruf beim Sozialpsychiatrischen Dienst reicht dann aus. Das ist gefährlich, weil dann immer leichter Menschen gegen ihren Willen in die Psychiatrie gebracht und dort festgehalten werden können. Die “Sozialpsychiatrie”, die behauptet, dass sie den Menschen hilft, arbeitet eng mit den Psychiatrien und auch mit der Polizei zusammen.
Das psychiatrische System basiert auf stigmatisierenden Diagnosen. Es bezeichnet immer mehr Erfahrungen des Menschen als „Krankheit“. Es behandelt diese mit schädlichen Psychopharmaka, die die Lebenserwartung reduzieren, Menschen zu chronisch Kranken machen und die oft schwierig abzusetzen sind. Dieses sexistische System bezeichnet öfter Frauen* als krank. Dieses System sagt, dass es nur zwei Geschlechter gibt und dass man sich als “Mann oder Frau” definieren muss. Wenn man sich nicht so definieren will, wird man als psychisch krank bezeichnet. Dieses rassistische System gibt People of Color die Diagnosen, nach denen man als besonders gefährlich gilt. Sie werden auch am Meisten gegen ihren Willen behandelt.
Dieses System gehört bekämpft! Menschen sollen selbst entscheiden können, wie sie sich definieren wollen. Sie sollen selbst entscheiden können, ob sie leiden oder nicht, Sie sollen selbst entscheiden können, ob sie sich Unterstützung holen möchten oder nicht.
Verhaltensweisen, die als krank, verrückt und nicht normal benannt werden, sollen endlich selbstverständlich Teil unseres Lebens sein. All denen, die bestimmen wollen, ob wir krank sind oder nicht, haben wir eins zu sagen: Heilung bedeutet für uns nicht, leistungsfähig zu sein für die Arbeit, die wir im Kapitalismus immer für Andere erledigen sollen.
Wir fordern eine Befreiung von jeder Form der Herrschaft und Unterdrückung. Zum Beispiel Sexismus, Rassismus, Ableismus oder das psychiatrische System. Wenn ihr Leid lindern wollt, dann setzt euch politisch gegen diese Herrschaft und Unterdrückung ein!
Bis dahin lauten unsere Forderungen an das psychiatrische System:
- Nichts über uns ohne uns! Keine Forschung, keine Lehre, keine Ausbildung, keine psychiatrische Einrichtung ohne Betroffene. Betroffenenkontrolle heißt nicht, dass wir ein Stück von eurem Kuchen abbekommen, sondern selbst einen eigenen Kuchen backen wollen!
- Kein Zwang, keine Gewalt! Ob in der geschlossenen Psychiatrie, im Heim, in der Tagesklinik, in der Therapie oder durch die Polizei!
- Mehr Alternative Einrichtungen zur Psychiatrie! Auch linke Menschen sollen überlegen, wie sich Psychiatriebetroffene in linken Gruppen oder Veranstaltungsorten wohlfühlen können. Es soll mehr Schutzräume geben. Fragt einander, was ihr braucht!
Wir wollen einen Ort schaffen möglichst frei von Angst irgendwie komisch oder falsch zu sein. Wir laden euch ein zum „Mad Tresen“ am 1. August im f.a.q. Flyer werden auch auf der Parade verteilt.
Viele können – oder wollen – heute nicht hier sein. Vielleicht weil es ihnen schlecht geht. Vielleicht weil sie weggeschlossen sind oder weil wir sie in psychiatrischen Einrichtungen leben und sie dort unsere Werbung für die Pride Parade nicht bekommen haben. Wenn wir heute hier sind, um gemeinsam zu feiern, heißt das nicht, dass wir diese Differenzen überdecken wollen. Es geht nicht um Vergessen schmerzhafter Erfahrungen, sondern darum, trotzig Präsenz zu zeigen und uns nicht zu verstecken mit unseren Erfahrungen. Wir dürfen so sein, wie wir sind und wir erobern uns die Straße!
Für die Abschaffung der Psychiatrie! Für die Abschaffung jeglicher Herrschaft! Für die Revolution!