Diese Rede hat Paula Franz auf der behindert und verrückt feiern Pride Parade 2015 gehalten:

Diese Gesellschaft macht krank. Dieser Satz wird oft gesagt. Und er trifft zu, weil wir im Kapitalismus leben. Der Zwang, funktionieren zu müssen, gilt für alle. Nicht nur für alle, die unter schlechten Bedingungen arbeiten müssen. Er gilt auch für die Menschen, die längst aussortiert wurden, weil sie den Anforderungen dieses Systems nicht entsprechen. Aber gleichzeitig greift der Satz zu kurz. Denn in dieser Gesellschaft gilt ein Prinzip: Wer nicht in die herrschende Norm passt, wird ausgegrenzt. Diese Norm entscheidet auch darüber, wer als „krank“ zu bezeichnen ist. In diesem System sind Diskriminierungen und Benachteiligungen Alltag. Wie zum Beispiel Sexismus und Rassismus. Zum Beispiel werden Frauen öfter als psychisch krank angesehen. Dieses System sagt, dass es nur zwei Geschlechter gibt und dass man sich als „Mann“ oder „Frau“ definieren muss. Und dieses System gibt People of Color Diagnosen, nach denen man als besonders gefährlich gilt. Gleichzeitig sind Krisen der Ausdruck der Verhältnisse in einem System, in dem zu viele Menschen gewaltvolle Erfahrungen machen.

Die Psychiatrie ist eine tragende Institution in diesem System. Die Psychiatrie soll ihrem eigenen Anspruch nach ein Schutzraum für Menschen sein, die eine psychische Krise durchleben. Sie soll dabei helfen, dass Menschen zur Ruhe kommen, sich sortieren und einen neuen Weg finden. Doch all dies lösen die real existierenden psychiatrischen Stationen in Krankenhäusern nicht ein. Im Gegenteil. Bereits im Aufnahmegespräch mit einem Arzt wird schnell klar, worauf sich der Klinikaufenthalt reduziert: auf eine sogenannte medikamentöse Therapie. Das bedeutet, dass Psychopharmaka die Grundlage der Behandlung in der Psychiatrie bilden. Wer sie nicht freiwillig nimmt, bekommt sie oftmals mit Zwang verabreicht. Diese Medikamente haben starke Nebenwirkungen. Die Patient*innen sind müde, fühlen sich benebelt und können vieles nicht mehr machen. Und während nun einige sich wie Roboter fühlen, wenn sie den Gang der Station auf- und ablaufen, werden andere fixiert. Sie sollen ruhig bleiben, sich nicht aufregen und bitteschön nicht laut werden. Ansonsten setzt es ganz schnell eine Spritze, oder man wird gar in die Geschlossene verlegt.

Es herrscht somit ein Machtgefälle in der Klinik. Die Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger entscheiden darüber, was zu tun ist und greifen somit in das Leben der Patient*innen ein. Der behandelnde Arzt gibt dem oder der Betroffenen eine psychiatrische Diagnose. Eine Diagnose ist oft wie ein Stempel. Die Patient*innen in der Psychiatrie sollen lernen, dass sie krank sind und diese sogenannte Krankheit akzeptieren. Die eigenen Lebensverhältnisse und Konflikte werden damit biologisiert. Nach dem Motto: Dein Körper produziert deine Verrücktheit – dein Körper muss behandelt werden. Mögliche Gewalterfahrungen, die die Betroffenen in ihrem Leben gemacht haben, werden in diesem System pathologisiert. In unserer Gesellschaft werden immer mehr Erfahrungen und immer auch wieder neue als „Krankheit“ bezeichnet. Die Psychiatrie setzt diese Norm mit ihrer Macht und mit Gewalt durch. Sie sperrt Menschen weg und isoliert sie.

Während sich seit der UN-Behindertenkonvention viele „Inklusion“ auf die Fahnen schreiben, sitzen Menschen in der Psychiatrie. Sie sind abgeschirmt von der Außenwelt. Wer nicht freiwillig bleiben möchte, wird oft gezwungen zu bleiben. Das wird Zwangsunterbringung genannt. Und die Zahl der unfreiwilligen Einweisungen in Deutschland nimmt zu. Während im Jahr 2000 rund 92.000 Menschen zwangsweise in die Psychiatrie mussten, waren es 2011 bereits 135.000. Die Gefahr, in der Psychiatrie Gewalt zu erleben, ist hoch, wenn man per Zwang dort untergebracht ist. Mit Zwang in die Psychiatrie eingewiesen zu werden, ist auch Gewalt. Entlassen werden nur Menschen, die sich der Meinung der Ärzte unterworfen haben.

Auf all das haben wir keine Lust, und wir kämpfen dagegen! Als Betroffene von psychiatrischer Gewalt wollen wir uns durchaus irgendwann wieder zurecht finden können. Das bedeutet aber nicht, dass wir nur leistungsfähig sein wollen für die Arbeit, die wir im Kapitalismus immer für andere erledigen sollen. Wir wollen selbst entscheiden, ob und von wem wir Unterstützung bekommen. Wir wollen selbst darüber entscheiden, ob wir leiden oder nicht. Wir haben keinen Bock auf stigmatisierende Diagnosen. Wir haben vielleicht Erfahrungen gemacht, die aufgearbeitet werden müssen – in Gesprächen und mit Zeit. Das bedeutet auch im Hinblick auf die Pride Parade, dass wir selbst entscheiden wollen, ob wir feiern oder nicht. Es geht für uns dabei nicht um das Vergessen schmerzhafter Erfahrungen, sondern darum, trotzig zu sein und uns nicht zu verstecken mit unseren Erfahrungen. Wir dürfen so sein, wie wir sind, und wir erobern uns die Straße!